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Flächeneignung - Beweidung als Pflegeoption in FFH-Gebieten (Natura 2000)

Mit der Ausweisung von FFH-Gebieten haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, einen günstigen Zustand der FFH-Lebensraumtypen und Anhang-II-Arten wenigstens zu erhalten und möglichst zu verbessern (Verschlechterungsverbot). Sollen nun solche ausgewiesenen FFH-Lebensraumtypen in naturnahe Beweidungssysteme integriert werden, dann stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine extensive Beweidung dem Erhaltungszustand der Lebensraumtypen abträglich sein könnte.

Für das Gros der für Hessen relevanten FFH-Lebensraumtypen des Offenlandes kann diese Frage nach den bisher gemachten Erfahrungen verneint werden. Zwar verändert extensive Beweidung meist den strukturellen Charakter der Lebensräume und führt häufig zu Verschiebungen in der Häufigkeit der Arten, doch sind bei genügend großer Fläche und ausreichend geringer Besatzdichte nur bei den wenigsten Lebensraumtypen Verschlechterungen des Erhaltungszustands zu erwarten. Bei diesen weiter unten konkret benannten Lebensraumtypen sollte dann tatsächlich - zumindest von einer ganzjährigen - Beweidung abgesehen werden.

Vor dem Hintergrund, dass zuletzt der Erhaltungszustand insbesondere der pflegeabhängigen Lebensraumtypen in hohem Maße als ungünstig bewertet wurde (FFH-Bericht 2013) steht der Naturschutz vor der Herausforderung, die infolge fehlender Finanzmittel mangelnde Pflege vieler Flächen deutlich zu verbessern. Naturnahe Beweidungssysteme können hier auch auf traditionell nicht beweideten Flächen relativ kostengünstig für Abhilfe sorgen und einer Verschlechterung entgegenwirken.

Grundsätzlich bestens geeignet für eine ganzjährige extensive Beweidung sind natürlich diejenigen Lebensräume, deren Entstehung in weiten Teilen auf eine zumindest teilweise Weidenutzung zurückzuführen ist. Für Hessen relevant wären

  • Zwergstrauchheiden (LRT 4010 und 4030)

    Insbesondere bei den trockenen Zwergstrauchheiden entfaltet extensive Ganzjahresbeweidung durchweg positive Effekte hinsichtlich Arten- und Strukturvielfalt, Verjüngung und Zurückdrängung unerwünschter Arten. Futterqualität und –menge sind aber beschränkt, so dass Heideflächen idealerweise im Verbund mit Grünlandgesellschaften beweidet werden sollten, um eine ganzjährige gute Versorgung der Tiere zu gewährleisten. Besonders günstig wirkt sich eine Mischbeweidung mit Rindern und Pferden aus, wo dies nicht möglich ist, können auch Schafe, Ziegen und Esel eingesetzt werden.

    Grundsätzlich kann Beweidung auch für den Erhalt und die Regeneration von Feuchtheiden förderlich sein, doch sollte sich hier die Beweidung auf die Vegetationsperiode beschränken und es sollten längere weidefreie Regenerationsphasen eingehalten werden. Sind kleinflächige Bestände in sehr großen Weidekomplexen integriert, ist aber auch extensive Ganzjahresbeweidung weitestgehend unschädlich.

  • Trockene, kalkreiche Sandrasen (LRT 6120)

    Sandtrockenrasen wurden traditionell zumeist schafbeweidet (Wanderschäferei), doch entfaltet auch die extensive Ganzjahresbeweidung – idealerweise durch Rinder und Pferde – sehr positive Wirkungen auf den Lebensraumtyp, sofern sich externe Nährstoffeinträge in Grenzen halten. Auch hier gilt, dass der Lebensraumtyp allein oft die Ernährung der Tiere nicht gewährleisten kann und deshalb möglichst mit produktiveren Flächen zusammenbeweidet werden sollte.

  • Kalk-(Halb-)Trockenrasen und ihre Verbuschungsstadien (*orchideenreiche Bestände) (LRT 6210)

    Orchideenreiche Kalkmagerrasen sind die traditionellen Schaftriften schlechthin und eine Fortführung dieser traditionellen Nutzung ist sicher die beste Option zum Erhalt eines guten Zustandes. Wo aber keine Schäfer mehr zur Pflege gewonnen werden können, hat sich auch eine extensive Beweidung durch große Huftiere als durchaus geeignetes Mittel zum Erhalt des Lebensraumes erwiesen.

  • Wacholderbestände auf Zwergstrauchheiden oder Kalkrasen (LRT 5130)

    Die Hinweise zu den vorgenannten Lebensraumtypen gelten hier sinngemäß.

Auf bestimmten historisch überwiegend mahdabhängigen Lebensraumtypen kann eine extensive Beweidung einer Verschlechterung des Erhaltungszustands infolge fehlender Mahd entgegenwirken. Versuche hierzu sollten durch ein Monitoring begleitet werden, um bei ungewünschten Entwicklungen ggfs. rechtzeitig gegensteuern zu können. Ziel muss sein, den kompletten typischen Artensatz gemähter Bestände zu erhalten, wobei Verschiebungen der Häufigkeiten akzeptiert werden können und auch zu erwarten sind. Für Hessen relevant sind die Lebensräume:

  • Artenreiche Borstgrasrasen (LRT 6230)

    In der Vielfalt der Borstgrasrasengesellschaften finden sich neben solchen, die ohnehin zumindest gelegentlich beweidet wurden auch Bestände, die über längere Zeiträume ausschließlicher Mahdnutzung unterlagen. Wenn bei diesen eine weitere Mahd nicht mehr gewährleistet werden kann, spricht nichts dagegen, sie in eine extensive Weidenutzung zu überführen. Auch wäre es wenig praktikabel, innerhalb von großen Weidesystemen gelegene kleine Borstgrasrasen auszuzäunen und zu mähen, wenn ein guter Zustand auch über extensive Beweidung erhalten werden kann.

  • Brenndolden-Auenwiesen (LRT 6440)

    Erst mit der Etablierung der Mahdnutzung als neue Bewirtschaftungsform des Grünlandes konnten sich gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in wechselfeuchten Auenbereichen großer Flüsse die heutigen artenreichen Bestände der Brenndoldenwiesen entwickeln. Bei gut ausgebildeten Beständen ist deshalb eine Pflege durch Mahd sicher auch heute noch die beste Option zur Bewahrung eines guten Erhaltungszustands. Aber auch hier gilt: Wenn eine Mahd der Bestände nicht mehr gewährleistet werden kann, ist es besser, sie in großflächige Beweidungssysteme zu integrieren, als sie brach fallen zu lassen. Nach bisherigen Erfahrungen kann extensive Ganzjahresbeweidung bestimmte wertgebende Arten des Lebensraumtyps sogar fördern.

  • Magere Mähwiesen des Flachlandes und der Mittelgebirge (LRT 6510 und LRT 6520)

    Auch die letzten verbliebenen Bestände artenreicher Glatt- und Goldhaferwiesen sollten zwar nach Möglichkeit weiterhin einer naturschutzkonformen Mahdnutzung unterliegen, doch auch hier ist eine extensive Beweidung immer einer völligen Nutzungsaufgabe vorzuziehen. Wenn einzelne solcher Flächen im Inneren geplanter Weidekomplexe liegen, sollten die Auswirkungen einer Mitbeweidung dieser Flächen beobachtet und dokumentiert werden (Monitoring).

Für den Erhaltungszustand ungünstige Wirkungen entfaltet selbst sehr extensive Beweidung in folgenden Lebensraumtypen

  • Pfeifengraswiesen (LRT 6410)

    Die traditionell nur einmal im Herbst zur Streunutzung gemähten Bestände reagieren sehr sensibel auf Beweidung. Entsprechende Versuche führten zu massiven Veränderungen der Pflanzenartenzusammensetzung bis hin zum Komplettausfall der die Gesellschaft charakterisierenden Arten. Die im FFH-System gemeldeten Bestände sollten deshalb grundsätzlich von einer Ganzjahresbeweidung ausgenommen werden. Kann eine wenigstens sporadische Herbstmahd jedoch nicht gewährleistet werden, dann kann eine kurze extensive Umtriebsbeweidung im Herbst einer ungewünschten Verbrachung vorbeugen.

  • Feuchte Hochstaudenfluren (LRT 6430)

    Die hochwüchsigen Bestände sind ebenfalls sehr empfindlich hinsichtlich Vertritt und Verbiss und verlieren durch Beweidung rasch ihre wertbestimmenden Eigenschaften. Hochstaudenfluren, die die FFH-Kriterien hinsichtlich Artensatz und Strukturparametern erfüllen, sollten deshalb innerhalb von Weidegebieten möglichst ausgezäunt und einer sporadischen Mahd unterzogen werden.

Inwieweit die allgemein als beweidungssensibel geltenden Moorlebensräume (LRT 7110, 7120, 7140, 7150, 7210, 7220, 7230) in Weideflächen einbezogen werden können, sollte im Vorfeld durch Fachgutachten geklärt werden. Gleiches gilt für die Lebensraumtypen der Schutthalden und Felsbiotope (LRT 8150, 8160, 8210, 8220, 8230). Grundsätzlich sollte bei hinreichender Gesamtflächengröße und angemessen geringer Besatzdichte eine Integration auch solcher Lebensraumtypen unproblematisch sein.


Weideprojekte in Hessen – Online
Quelle: http://www.weideprojekte-hessen.de/grundlagen/flaecheneignung/beweidung-natura2000/ [Stand: 28.03.2024]
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